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Stadtbaumtraum

Gestern Mittwoch, Bahnhofstrasse; der ganze Nachmittag ist grau. Die an dir vorbei gehen – siehst du sie? Sie kommen alle an dir vorbei und ich hörte, sie meinen, dein Leben hinter Gittern sei für die Ewigkeit; natürlich ist es das nicht; sag, liebes Holz, warum du dich so zierst.

Schauten einmal für einen winzigen Augenblick alle weg, würde es geschehen. du fasstest Mut, um auszubrechen, endlich zu gedeihen. Eilig würden deine Äste nach dem Raum greifen, für alles, was dir zusteht; du würdest wachsen; dich nach allen Seiten ausstrecken, und dein Stamm würde das Gitter füllen, die Fesseln sprengen, den Eisenring verschlingen und du würdest weiter wachsen; schnell, dass ich dann zuschauen könnte, ich stünde da, würde nicken und zustimmen und begeistert sagen, ja, das Kreative braucht seinen Platz; du würdest mich nicht beachten, aber weiter wachsen, wachsen und weiter wachsen; mit einem einzigen langen Knirschen dich zum Himmel strecken und dein grünes Herz würde rasen vor Euphorie und deine Zweige spriessten immer und immer wieder; und du wärst bald grösser als das grösste Haus, und es würde noch rasanter gehen und du sprengtest den Boden auf und deine Wurzeln würden Schlingen schlagen, gierig nach Nährstoffen in die Gärten streben, um dort wieder in der Erde zu versinken; während die Äste in die Häuser eingebrochen wären, wo das Glas klirrt und die Menschen aus den Betten fielen und die ganze Stadt wäre auf den Beinen, aber es würde nichts nützen, denn du hättest längst alles überschattet; Häuser und Strassen mit Laub gefüllt; und du, Stadtbaum, kenntest nur dein eigenes Ziel, weiterhin das Licht zu erobern; und es würde also finster in der Stadt, so sehr, dass den Leuten der Atem stockte; und das Leben spielte sich nicht mehr hier, sondern dort oben ab. Und deine Baumgeschwister wären stolz auf dich und bald wären alle Bäume wie Berge und die Menschen ein Käfervolk.











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