Unser Baum
Auf der Flucht vor Räuberinnen schlichen wir auf Geheimgängen durchs Dickicht. Wiesen und Sträucher wucherten überall ums Schulhaus – fast so, als wäre es selbst aus dem Boden gewachsen.
Die Bäume ragten weit in den Himmel und ihr Grün schimmerte von allen Seiten auf uns herab. Sie hatten uns im Blick. Sie warfen riesige, zerstreute Schattenflächen auf die Plätze, und wir spielten damit, indem wir von Lichtfleck zu Lichtfleck sprangen.
Einer jener Bäume war anders. Für die Lehrpersonen eine Buche, nur eine Buche – für uns ein Paradies; ein lebendiger Baum. Er war nicht bloss über unseren Köpfen wie all die unnahbaren Giganten, sondern in unserer Reichweite. Es verging kein Nachmittag, den wir nicht in jener Baumkrone verbrachten. Dass sie sich so hervorragend zum Klettern eignete, schien rätselhaft. Ich stellte mir vor, wie die Tritte der Kinder, die lange vor uns zur Schule gegangen waren, sich in den Astgabeln eingeprägt hatten. Und dass sich der Baum auch heute noch immer mehr zu unseren Gunsten entwickelte, da seine Äste nicht mehr weiterwuchsen, wo sie uns im Weg waren und sie dort mächtiger wurden, wo wir gerne sassen und spielten.
Einige Stümpfe am unteren Ende des Stamms bildeten eine Einstiegshilfe, eine kleine Treppe, über die man bequem auf den ersten, dann auf den zweiten Ast steigen konnte, und von dort war der Weg in alle Richtungen offen. Diese Buche liess es zu, sich auf ihr vollkommen frei zu bewegen. Zu meinem Lieblingsplatz war es nicht weit, mit etwas Schwung gelangte ich durch eine flüssige Bewegung dahin. Ich sass dort in einer sesselartigen Kombination verschiedener Äste. Ich sass lange und studierte die Rinde des Baumes. An meinem Platz sass ich auch, wenn ich mit meinem Freund gemeinsam im Baum war und verteidigte von dort meine Positionen, wenn wir diskutierten, welche Farbe unser Rettungshubschrauber habe oder ob wir uns beim Bergsteigen an einer kniffligen Stelle eher abseilen oder doch klettern müssten. Dort sass ich auch, wenn ich meinem Freund, einem kleinen und flinken Turner, beim heldenhaften Sprung zusah, der mit einer eleganten Rolle auf dem Fussballrasen endete.
Ging es darum, in der Buche nach oben zu steigen, liess ich meinen Freund bald hinter mir. Der Mut strömte durch meinen Körper, wenn ich so hoch kletterte, dass ich über das Schulhausdach sehen konnte. Ich kletterte noch weiter, bis ich nur noch feine Zweige in den Händen hielt und der Stamm so dünn war, dass er bedrohlich hin und her schaukelte.
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