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Deborah Mäder

Koch-Areal Altstetten

Ein freundlicher Hund begrüsste mich

Das Koch-Areal – für viele Zürcher ein Dorn im Auge. Meine Abneigung war nicht so extrem, aber ich war doch der Meinung, dass das Koch-Areal einen schlechten Einfluss auf viele Uner­fahrene wie Schüler der F+F-Schule oder auch sonstige Jugendliche hat, welche keinen Ort zum Zeitver­treiben haben. Da war ich mir sicher. Mein erster Versuch, Kontakt mit Leuten aus dem Inneren aufzunehmen, scheiterte, als ich an einem Konzert im Koch versuchte, ein Interview zu ergattern. Da wird nicht viel rausgelassen, wahrscheinlich hat jeder Angst, etwas Falsches zu sagen. Dies wurde mir bestätigt, als ich den Geschäftsführer der Koch-Bar fragte, wie ich an ein Interview mit einem Koch-Areal-Bewohner komme. Er erklärte mir, dass meine Chancen schlecht stünden, denn alle Bewohner des Kochs müssten damit einverstanden sein. Im Gespräch mit dem superfreundlichen Mann – ebenso Ustermer wie ich – erfuhr ich, dass ich mich für ein Interview dem Gremium des Kochs vorstellen müsse.

Fast zwei Wochen später trabte ich also wieder ins Koch-Areal. Es hiess, die Sitzung des Gremiums finde alle zwei Wochen am Mittwochabend statt. Auf dem Weg nach Altstetten begann sich ein mulmiges Gefühl in mir aufzubauen, ich war sehr nervös und kurz davor, einfach wieder in den nächsten Zug nach Hause zu steigen.

Doch wie immer erschien ich ein paar Minuten vor dem Start. Ich musste mich überwinden, an der Tür zu klopfen. Ich klopfte, doch offenbar hörte das niemand. Die Gespräche dahinter gingen weiter. Als endlich mal jemand auf der anderen Seite der Tür vorbeilief, klopfte ich erneut. Und plötzlich ging eine Klappe neben dem Eingang auf: Alles, was ich sah, waren zwei grosse Augen, die mich durchbohrten. Die Türe ging auf, und ein freundlicher Hund begrüsste mich. Es schien, als sei er der Einzige, der sich über meinen Besuch freute. Den wenigen, die schon dort waren, stellte ich mich vor, gleichzeitig versuchte ich, alle Eindrücke dieses heruntergekommenen Gemeinschafts­raumes einzuatmen. Gesprächig waren die Anwesenden definitiv nicht. Es wurde gekifft und Wein getrunken. Und es war sehr dunkel in diesem Raum, allerdings wohlig dunkel. Noch gut zwanzig Minuten dauerte es, bis endlich alle anwesend waren. Ich stellte mir die Runde definitiv grösser vor, aber ich war schon nervös genug, vor den knapp zehn Personen reden zu müssen. Wir sassen in einem Kreis, und ich sollte gleich mit meinem Anliegen beginnen. Nach kurzem Zögern stellte ich mich und das JULL ein bisschen vor und versuchte, zu erklären, was ich genau mache – dabei wusste ich selber noch nicht genau, was ich mit diesem Text erreichen will. Doch auch dieses Gremium war keine sehr gesprächige Gesellschaft. Die meisten waren eher passiv oder sogar desin­te­ressiert. Nur ein paar Fragen wurden gestellt, für ein Interview schien sich niemand zu begeistern. Als ich mich gerade aufmachen wollte, meldete sich eine eher jüngere Frau mit leicht gefärbtem Haar und einem sym­pa­thischen Lächeln. Sie machte den Eindruck, als habe sie Mitleid mit mir. Ich gab ihr meine Kontaktdaten, falls sie wirklich Interesse an einem Interview habe.

Kurz darauf sass ich in Gedanken versunken im Tram Richtung Haupt­bahnhof. Ich rümpfte meine Nase, weil ein bekannter Geruch meine Auf­merksamkeit erregte. Verwundert versuchte ich, zu identifizieren, woher er kam. Bis ich realisierte, dass ich die Person im Tram war, die nach Cannabis roch. Mir stieg die Farbe ins Gesicht und ich versank langsam in meinem Sitz.

Zuhause angekommen, versuchte ich, meine Eindrücke und Gedanken auf Papier zu sortieren und miteinander zu verbinden. Doch ich konnte mich immer noch nicht so richtig für das Koch-Areal begeistern.

Schon ein paar Tage später bekam ich eine SMS von der aufgestellten jungen Frau, welche ich am Mittwoch zuvor im Koch kennengelernt hatte. Wir verab­redeten uns, und so sassen wir nun also mit Cappuccinos im Café Lang. Ich hatte eine Menge Fragen vorbereitet, aber nach ein paar Minuten schmiss ich alles über Bord. Viele meiner Vorurteile verflossen im Lauf dieses Abends.

Ich begann, die Hintergründe des Koch-Areals besser zu verstehen. Die Besetzer besetzten nicht aus Spass, sondern auch weil es in Zürich schwierig ist, an eine preiswerte Wohnung zu gelangen – etwa für Student/innen mit zwangsläufig limitierten Budgets. Die Besetzer des Koch-Areals haben alle andere Hinter­gründe und Erfahrungen mit Hausbe­setzung. Meine Interview­partnerin erzählte mir, dass man sich in der Besetzerszene schnell mal hier und mal dort rumtreibt. Dabei wurde mir klar, wie schnell sich ein Hausstand nur noch auf einen Schlafsack und ein Mätteli beschränken kann. Auch die Entstehung des Koch-Areals selber konnte ich mir nun besser vorstellen. Alles begann mit einer Gruppe von etwa zehn Leuten, heute leben rund 150 Menschen auf dem ganzen Areal. Viele Leute heisst viel Energie.

Ein anderes Vorurteil, das ich noch immer vom Koch hegte, war die Unordnung. Doch nach all meinen Eindrücken und dem Treffen mit dem Gremium erkannte ich, dass eine gewisse Struktur dahintersteckt. Es gibt beispielsweise verschiedene Aufgaben, die abwechselnd von den einzelnen Gruppen im Koch übernommen werden. Diese Aufgaben werden alle zwei Wochen weitergegeben. Ein WC-Bürsteli-Zepter macht klar, welche Gruppe gerade die Verantwortung trägt.

Auch persönliche Geschichten erfuhr ich durch dieses Interview. Neben älteren Generationen und Familien leben auch viele junge Leute auf dem Koch-Areal. Anfangs hätten sich die Familien dieser jungen Leute gesorgt. Doch auch sie anerkannten mit der Zeit, dass es viele gute Aspekte am Koch gibt. Viele Ge­danken beeindruckten mich: «Wir sollten einander ergänzen» oder «keine Regeln aufstellen, ohne das Prinzip dahinter zu verstehen».

Seit eh und je sorgen Konzerte, die auf dem Areal stattfinden, für Unmut in der Nachbarschaft. Bei meiner Recherche stiess ich immer wieder auf Rekla­ma­tions­meldungen der Anwohner. Bald aber stellte ich fest, dass fast alle 170 Lärmklagen von der gleichen Person stammen.

Durch diese Recherche habe ich viel über Zürich, das Koch-Areal und wofür es stehen will, gelernt. Es ist einer der wenigen Orte in der Stadt Zürich, welche eine Plattform für kreatives Schaffen bilden, inklusive Konzerte, Ausstellungen, Filme, sogar ein Café und verschiedene Events für ange­messene Preise, und dies für jede und jeden. Innerhalb der Kochgemeinschaft herrscht eine andere Gesellschafts­ordnung. Eine Ordnung der Freiheit, in einer Stadt, in welcher die allermeisten Freiräume durch städtische Regle­men­tierungen und fortscheitende Gentri­fizierung zerstört werden. Kreative Bio­tope wie das Koch-Areal sind wichtig für eine immer durchgeplantere Stadt wie Zürich und vielleicht sogar ein Rezept für ein bisschen Freude. Oder wie das eine Koch-Areal-Bewohnerin auf den Punkt bringt: «Die Zeit ist gut investiert in etwas, das Sinn hinter das Geld bringt.»


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