Grüner Stein
- Lena Geser
- 5. Juli
- 1 Min. Lesezeit
Tosender Wind in den Bäumen wie Meeresrauschen. Männer in Anzügen stehen vor dem Parlamentsgebäude und filmen mit ihren Handys die aufziehenden Wolken. Die Stimmung ist geladen. Es riecht verheissungsvoll nach ersten Regentropfen auf dem sonnengewärmten Asphalt.
Regentropfen fallen auch auf mich. Die ersten kalten Tropfen treffen meine Oberfläche wie kleine Stiche. Dann spüre ich sie nicht mehr. Bald bin ich von Wasser überströmt. Es macht mir nichts aus. Schliesslich bin ich ein Stein. Wie ein nasser Film zwischen mir und der Aussenwelt breitet sich die Taubheit in mir aus. Ich scheine mich ein Stück von allem zu entfernen.
Die Balkontür wird von einem Windstoss zugeschlagen. Ich sehe zu und höre nichts. Eine tosende Stille distanziert mich von dem Geschehen. Die Wolken am Himmel sehen von unten aus wie brechende Wellen. Die Entfernung zwischen mir und der Aussenwelt wächst. Als hätte sich der nasse Film von Regen in einen Ozean verwandelt. Ich entferne mich weiter.
Der Geruch des Sommers ist weg und sogleich verliert meine Umgebung an Farbe und Intensität. Ich sehe unbeteiligt zu, während ich mich weiter entferne.
Die Aussenwelt hat nichts mehr mit mir zu tun, auch wenn ich in ihr existiere.
Dunkelheit breitet sich über mich wie eine schwere schwarze Decke. Alles um mich herum schrumpft in sich zusammen zu einem bedeutungslosen Nichts.
Meine Masse ist alles, was bleibt.
Lena Geser (*1999), JULL-Stadtbeobachterin seit 2025
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem Bullingerhaus im Rahmen des Gartenfests 2025

Foto: JULL

