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Meine Nachbarschaft ausserhalb des Gartenzauns, Notizen in Isolation

Anaïs Rufer

Ich sitze im Garten und trinke Kaffee. Grüne Tasse auf hellblauem Tellerchen. Nur ein Gartenzaun trennt mich von der Aussenwelt.

Eine Frau mit Sonnenbrille läuft mit ihrer Begleitung vorbei und lächelt: «Im Gras liegt dann noch ein Handy.» War mir bewusst, aber danke. Ich werde es nicht vergessen.

Ich lese ein Buch.

Mir gegenüberliegend auf der anderen Strassenseite höre ich die neuen Nachbarn. Vier kleine Kinder. Mehrere Erwachsene. Musik. «21 Guns» von Green Day. Die Kinder tanzen. Die Eltern gärtnern.

«Wenn die Krise vorbei ist, gehen wir zwei nach Kanada backpacken», höre ich den Typen sagen, der gerade mit seinem Kollegen vor unserem Haus vorbeiläuft.

Ich putze meine Sonnenbrille. Sie ist ausgeliehen. Ich habe nicht vor, sie bald zurückzubringen. Das nächste bekannte Gesicht, das mir begegnet: Er trägt ebenfalls eine Sonnenbrille. Er sieht mich nicht, schaut aber auch nicht, ob ich im Garten bin. Ich verstecke mich hinter meinem Buch. Das zwischen uns war eh nur einmalig.

Mein Bruder kommt durchs Gartentörchen. Er kommt vom Joggen zurück. Verschwitzt und ausser Atem. Wir wechseln ein paar Worte.

Wenn ich hier so in meinem Garten sitze und beobachte, fühle ich mich gar nicht so isoliert. Meiner Nachbarschaft schenkte ich vor Corona nicht viel Aufmerksamkeit. Aber ständig gehen dieselben Nasen am Gartenzaun vorbei.

Nur meinen ehemaligen Englischlehrer, der ein paar Häuser weiter wohnt, habe ich heute noch nicht erblickt.

Und die ältere Dame, die immer mit toupierter Frise vorbeistolziert, habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen. Sie gehört halt zur Risikogruppe – logisch.




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