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Mara Richter

Seepromenade

Der Bettler

es ist die zeit, in der es noch nicht so richtig warm ist, alle aber schon nach draussen wollen, der winter kriecht aus unserer kleidung und die freude über erste spärliche sonnenstrahlen ist riesig, und das ist wahrscheinlich auch der grund, weswegen sich so viele menschen hier tummeln, an dieser seepromenade

sie laufen ein stück dem see entlang, in die eine richtung, dann in die andere, haben bereits eine immunität gegen bettler aufgebaut, die man sich bei jedem anblick wieder neu beibringen muss, aber sie blicken eben geschickt weg, beachten den mann nicht, der alleine dasitzt, und dann, plötzlich, einige minuten später, nicht mehr so alleine ist, denn ein etwas älterer herr hat sich zu ihm gesellt, zerlumpte kleidung, wie man so schön sagt, etwas trauriger blick, ein schweres akkordeon hängt an ihm

zum glück muss er nicht mehr stehen, er hat seinen platz gefunden, setzt sich ab, verlagert das gewicht des alten instruments, beginnt zögernd, es zu bespielen, und hat einen bittenderen blick als der bettler, wird aber weder für das noch für seine kaum vorhandenen musikkünste belohnt, allenfalls manchmal belächelt, und es dauert und dauert, bis sich erste münzen bei ihm sammeln, sie stammen vom bettler daneben, sein lächeln scheint aufrichtig, die szene droht ins kitschige zu kippen, scheint einem film entsprungen, ich säubere mein portemonnaie vom kleingeld und laufe weiter, die begegnung wahrscheinlich erst einige jahre später vergessend.


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