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Elf Bahnhöfe bis zum Meer

Wir sitzen in einem Zug auf dunkelblauen Lederstühlen und ziehen an einer friedlichen Landschaft vorbei. Dazwischen sehen wir immer wieder heruntergekommene Wohnblöcke. Meine Augen können es kaum erwarten bis sich die Landschaft blau verfärbt. In meinem Rucksack habe ich zwei Pfirsiche, zwei Birnen, Trauben, ein Liter Wasser und zwei Cornetti. Meine Knie berühren die warmen, vertrauten Knie meines Gegenübers. Ein kalter Wind weht von der Klimaanlage an meinen Beinen vorbei. Ich hoffe meine Erkältung kehrt nicht zurück. Elf Bahnhöfe bis zum Meer. 90 Minuten Fahrzeit. Ich rufe aus Langeweile meinen Bruder an. Wir machen eine Videounterhaltung. Genau in diesem Augenblick fahren wir an Pisa vorbei. Das verschlägt mir die Sprache und bringt meinen Bruder zum Staunen. Obwohl er die Stadt nur durch einen Screen sieht.

Ich lege auf und circa zwanzig Minuten später kommen wir in Viareggio an. Keine Sekunde denke ich mehr an Florenz. Hier fühlt es sich mehr nach Süden an. Die bröckelnden Fassaden der Häuser, die abgenutzten Strassen geschmückt mit Blumen und Palmen und die kleinen Läden mit den einfach gekleideten Menschen erinnern mich an das Dorf in Albanien, in dem ich zum ersten Mal das Meer erblickte. Wir laufen einen Kilometer vom Bahnhof alles geradeaus bis zum Strand. Auf dem kleinen Tor steht in Grossbuchstaben: B. MARTINELLI. Die Türen der Umkleidekabinen sind türkis bemalt und die Wände weiss gestrichen. Unsere Füsse berühren den heissen goldenen Strand. Er ist übersät von orange-weiss gestreiften Sonnenschirmen. Das Rauschen der Wellen übertönt das Geschwätz der Badegäste. Es sind nicht viele. Wenn ich die Augen schliesse habe ich fast das Gefühl, wir wären alleine hier. Der Bagnino führt uns zu unserem Sonnenschirm. Mein wahrscheinlich erster und letzter Tag am Mittelmeer dieses Jahr. Wir legen unsere Taschen auf den Liegestuhl. Ich nehme tief Luft und wir bewegen uns langsam ins kalte Wasser. Es ist anfangs September und das Meer schlägt hohe Wellen. Das Salzwasser brennt leicht in meiner kleinen offenen Wunde an meinem kleinen Zeh und heilt sie zugleich. Danach liegen wir auf den orangenen Liegestühlen. Sand an den Füssen, Salz im Haar und eine wohlige Hitze auf den Beinen.





J-U-G-O

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