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J-U-G-O

von Arzije Asani


«Hey, du. Du bisch sicher au en Jugo!» Frühling 2005, ich bin etwa 10 Jahre alt als mich

ein junger Schweizer aus dem Dorf plötzlich anbrüllt.

Wenn mir in meiner Kindheit fremde Kinder das Wort «Jugo» zuriefen, wurde ich in meinem Inneren regelrecht zum «Jugo»: Aggressiv, aufbrausend, unkontrolliert. Alles in mir drinnen schrie. Ich wusste nicht genau, warum es in mir so randalierte. Ich wusste nur, dass ich mich nicht mit diesem Wort identifizierte und dass die Leute im Dorf es brauchten, um mich zu schubladisieren.

Als «Jugo Blöcke» bezeichnen sie heute noch die Wohnblöcke am Rand des Dorfes, wo die Ausländer*innen wohnen. Auch meine Familie und ich lebten für ein paar Jahre da. In dieser Siedlung leben Albaner*innen, Serb*innen, Türk*innen, Bosnier*innen, Italiener*innen und viele andere mehr. Für den Rest des Dorfes waren und sind wir immer noch, einfach nur die «Jugos».

Wobei sich manche Balkan Kids untereinander auch das Wort «Jugo» zuriefen – obwohl sie

selbst Jugoslawien gar nie erlebt hatten. Es liess sie in einer Welt, in der sie von so vielen Seiten diskriminiert wurden, paradoxerweise zugehörig und verbunden fühlen.

Ich fühlte mich trotzdem nicht wohl, wenn mich meine Freund*innen aus dem Balkan «Jugo» nannten. Zu negativ war es für mich behaftet. Also lächelte ich ihnen bemüht zu, denn ich wollte sie nicht verletzen. Doch in mir drinnen sträubte sich alles dagegen.


Erst später getraute ich mich endlich etwas zu sagen, wenn die Schweizer*innen meiner Klasse mir ahnungslos das Wort in der Schule zuriefen. Ich versuchte zu erklären, dass Jugoslawien nicht mehr ist, dass es viele verschiedene Ethnien gibt auf dem Balkan, dass ich eine andere Sprache spreche als die Mitschüler*innen mit Eltern aus Serbien, dass wir verschiedene Kulturen leben, dass … – doch sie winkten nur ab. «So kompliziert!» und «Ist doch eh alles das Gleiche!»

Sind wir denn tatsächlich so unwichtig? In Polizeiberichten wissen sie doch auch immer ganz genau, welche Nationalität die Täter*innen haben.

Es gab Momente, da begann ich selbst zu glauben, dass «Jugo» womöglich der richtige Begriff für uns ist. So viele Male hatte ich es nun schon gehört und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, was nun stimmte.

Meine Eltern habe ich mich nie getraut zu fragen. Denn «Jugo» war für mich nicht nur ein Wort, das mich und meine Herkunft bedeutungslos machte. Es war ein Wort, dass die Sprache und die Kultur meiner Eltern unterdrückte.

Jahre später höre ich erneut das Wort «Jugo» als der Onkel meines Freundes davon spricht. Erneut kommt Wut in mir auf, doch ich weiss, dass der Grund seiner Wortwahl nicht dem der Schweizer*innen meiner Kindheit entspricht. Ich verstehe heute, dass der Begriff «Jugo» nicht bei allen die gleiche Erinnerung weckt. Manche denken dabei nostalgisch schwelgend an Tito und die Vergangenheit. Andere erinnert es aber an eine Zeit der Unterdrückung, Gewalt und unerfüllten Träumen. Und mich erinnert es an meine Kindheit. An eine Zeit, in der mich dieses Wort weniger wert und nie Heimat fühlen liess.





 

Zur Einstimmung auf die Tage südosteuropäischer Literatur im Literaturhaus schreiben die Stadtbeobachter-innen Arzije, Xhemile und Dorijan über ihren «Balkan in Zürich».

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