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Gute Besserung

Der Hustensirup meiner Mutter war sehr milchig.

So dickflüssig. Beinahe zäh.

Weiss war er. Aber nicht so Zahnpastaweiss, sondern mehr so cremig, wie Eiweiss.

Es war immer der Gleiche, schon seit Jahren abgelaufen, weil ich so selten krank war.

Immer ein Mal im Jahr, zu Weihnachten.

So viel Aufmerksamkeit auf einmal wollte ich nicht handhaben. Diese Liebe, diese Harmonie, ugh.

Der Hustensaft war milchig und zähflüssig, aber geschmacklich war er einmalig.

Wirklich unglaublich lecker.

Ich weiss nicht, wie die Pharma-Riesen das hinbekommen haben. Und ob es überhaupt Sinn macht, einen Hustensirup herzustellen, der so köstlich schmeckt.

Der Geschmack war süss, wie Zuckerwatte, und Sirup, und dann noch so ein komischer Beigeschmack, der sich nicht beschreiben lässt.

Es war mein Highlight daran, als Kind krank zu sein.

 

Das zweite Highlight war, dass Mutter mir den Rücken und die Brust mit Pulmex eingerieben hat. Dieser Geruch! Immer vor dem Schlafengehen setzte sich Mutter neben mir auf die Bettkante und strich mir diese Salbe ein, während ich hustend und hilflos dalag. Es war heilend, diese Mischung aus Ölen und Kräutern, der aufsteigenden Wärme und Mutter, die einfach da war.

 

Das dritte Highlight waren die Mahlzeiten, die mir Mutter ans Bett brachte. Normalerweise war es strengstens verboten, im Bett zu essen. Egal, wie traurig oder müde, zerstritten oder verhasst wir waren, immer musste ich zu Tisch.

Ausser, wenn ich krank war. Dann gab es Bettservice.

Dazu gehörte eine Tasse Pfefferminztee, die so heiss war, dass ich sie nicht trinken konnte, auf dem Nachttisch vergass, und schliesslich von Mutter zornig dazu aufgefordert wurde, den Tee, jetzt halt kalt und viel zu geschmacksintensiv, zu trinken, wenn sie ihn schon extra gemacht hat.

Viel zu viel Honig war im Tee. Das hilft dem Hals, hat sie gesagt, und es gut gemeint.

Auch eine Speise war inbegriffen. Es war immer eine Überraschung, was Mutter zubereitet hatte. Zwieback oder Pancroc, Kiri oder La Vache Qui Rit, Banane, Apfel, Mandarine, Beeren, Schoggi oder Kekse.

Am meisten liebte ich die Pancroc-Doppeldecker mit einer dicken Schicht La Vache Qui Rit in der Mitte.

“Weisst du, was das heisst, la vache qui rit?", hat Mutter immer gefragt.

“Die Kuh, die lacht.”

Dazu gab es Käse, Tête de Moine, hiess er.

“Und weisst du auch, was das heisst?”

“Mönchskopf.”

Den Käse habe ich in meinen Händen hin und her gezwirbelt und versucht, mir einen Mönch vorzustellen, aber es ging nicht, weil ich noch nie einen gesehen hatte, und weil ich ohnehin gar nicht genau wusste, was das überhaupt war.

Mutter setzte sich dann zu mir auf die Bettkante und erzählte Anekdoten über Grossvater, der eben ein Welscher war, der eben noch französisch aufgewachsen war.

Und ich, die, mit der Stimme von Mutter im Ohr, irgendwann eingeschlafen sein muss.





ree

Foto: Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash






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