Hommage an Jamie, die beste Mitbewohnerin
- Jules Schwarz
- 1. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Ich bin früh ausgezogen, zu einer Zeit, als die meisten meiner Freund*innen sich nicht vorstellen konnten, Hotel Mama zu verlassen. Du und ich waren die einzigen, die überzeugt waren: Wir müssen raus. Wir hatten uns als junge Mädchen kennengelernt, dann ein paar Jahre lang keinen Kontakt miteinander gehabt. Eine gemeinsame Freundin gab uns einen Schubs und sagte: «Ihr wollt beide ausziehen, redet miteinander!» So kam es, dass wir uns zum ersten Mal seit vier Jahren trafen und auf der Terrasse der Rio-Bar stundenlang schwatzten und Bier um Bier leerten. Wir verstanden uns auf Anhieb. Nicht, weil wir uns schon einmal gekannt hatten, sondern weil wir irgendwie auf derselben Wellenlänge waren. Ich musste mich vor dir nie verstellen, du fandest meine Witze sofort lustig, wir konnten diskutieren, ohne zu streiten. Also registrierten wir uns zusammen für ein Such-Abo. Die Wohnungssuche dauerte drei Monate. Während dieser Zeit hatte ich mir nicht ein einziges Mal überlegt, dass diese Sache schiefgehen könnte. Ich glaube, du auch nicht. Als der Zeitpunkt kam, den Vertrag zu unterschreiben, sassen wir in der Wohnung deiner Eltern, und es wurde uns beiden zum ersten Mal mulmig. So viel Geld, so viel Verantwortung, und noch dazu mit einer Fremden.
Wir hörten auf unseren ersten Impuls: Zusammenwohnen.
Seither haben wir alles miteinander erlebt.
Wir haben zu zweit gewohnt und tun es immer noch, weil es so schön ist.
Wir haben zu viert gewohnt, mit zwei anderen, und nochmals zwei anderen. Beide Male waren Scheisse.
Wir haben lärmige Wohnungen, Schimmel an den Küchenschränken, kaputte Duschen und Waschmaschinen erlebt, einen schizophrenen Nachbarn, der eine Mitbewohnerin von uns mit einem Küchenmesser bedrohte, eine aggressive Mitbewohnerin, die ein Loch in meine Zimmertür schlug, und zahlreiche Kellereinbrüche und Schuhdiebstähle vor der eigenen Wohnungstür überlebt.
Wir haben Freundesgruppen gegründet und wieder aufgelöst. Wir haben uns beim Mieterverband rechtliche Hilfe gesucht, wir haben Geburtstagspartys für Freunde von Freunden gehostet, weil wir als einzige eine eigene Wohnung hatten, wir haben einander beim Sex gehört und sind dreimal umgezogen.
Vor allem aber haben wir zusammen gelebt.
Stundenlanges Rauchen auf dem Balkon oder aus dem Fenster, als wir keinen Balkon hatten. Zusammen kochen (obwohl meistens du gekocht hast), zusammen lachen, in die Ferien fahren, Leute monatelang bei uns wohnen lassen, nach einem langen Tag nach Hause kommen und sich beieinander von der Welt draussen auskotzen, einander versorgen, wenn wir krank sind.
Eine Zeit lang haben wir sogar jeden Tag miteinander verbracht, obwohl wir uns schon zuhause ständig gesehen haben. Wenn wir alleine irgendwo aufkreuzten, fragten alle: Hä, wo ist denn die andere? Ist sie krank? Geht’s euch gut? Der Gegenbeweis für die Binsenweisheit, mit besten Freund*innen solle man nicht einziehen, weil man dann schnell genug voneinander hat.
Die Erinnerungen an schlechte Mitbewohner*innen werden wohl nicht so schnell verschwinden. Wenn ich vom WG-Leben spreche, kommen mir oft diese Probleme in den Sinn. Aber eigentlich ist das WG-Leben ultrageil, wenn man die richtigen Leute dafür findet. Für mich bist das du, und ich hoffe, ich bin es auch immer noch für dich.
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