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Zürich - West

An einem Mittwoch gegen Ende des Monats ist nichts mehr übrig von dem Geld, das wir monatlich von unseren Eltern bekommen. Das kostenlose Abendprogramm: eine Geburtstagsparty bei Freunden von Freunden.

Als wir gegen neun irgendwo bei der Hardbrücke an einem dieser schicken, neuen Zürich-West-Hochhäuser klingeln, klingt dumpf eine Stimme durch die Sprechanlage: „Bis oben fahren.“ Nachdem wir uns in der silber-goldenen Spiegelfront bestaunt und zugegebenermassen auch fotografiert haben, nehmen wir also den Lift und fahren bis nach ganz oben. Im Aufzug klärt uns eine Freundin – die einzige Eingeladene unter uns – über das Geburtstags­kind auf. Marc wird heute 20, studiert Wirtschaft und ist schwul.

Zu unserer Überraschung stehen wir plötzlich im Flur einer Wohnung, und ich frage mich, was die WG-Bewohner mit ihren Studentenjobs verdienen; es sieht mehr nach Designermöbelkatalog denn nach Studenten-WG aus.

Wie all seine Freunde trägt Marc, der sich uns gleich vorstellt, ein in die Hose gestecktes Hemd und Socken. Während also auch wir unsere Schuhe ausziehen, zählt Marc sieben verschiedene Biersorten auf und entschuldigt sich: „Eve hab ich leider keins mehr.“ Ob wir vielleicht Weisswein wollen? Ich lasse meine gammligen Chucks unter einem Berg aus Lederschuhen verschwinden und folge Marcs Führung durch die 5½-Zimmer-Wohnung, die eigentlich seinen Eltern gehört. Er wohnt alleine hier.

Rona führt professionell Smalltalk mit den anderen Partygästen. Sie kommt aus einer wohlhabenden Juristenfamilie und ist solche Kreise gewohnt, in denen Eltern ihren Kindern während des Studiums nicht eine Zimmermiete, sondern gleich eine Privatwohnung spendieren. Als Einzige von uns trägt Rona keine Jeans. Meine restlichen Freunde und ich setzen uns auf zu niedrige Stühle hinter der Theke und lassen den Sprüngli-Sandwichturm schrumpfen. Immerhin: gratis essen.

Ein Stück Oreo-Kuchen später läuft an der Wand uns gegenüber das Musikvideo zu „Anakonda“ im Kinoformat und ich bin nicht sicher, wieso mir übel wird. Marcs Freunde spielen Limbo. Zwischen den verstörenden Riesenhintern in Nicki Minajs Softporno biegen sich Männer und Frauen so tief unter der Limbostange hindurch, dass manche mit den Haaren über den Boden schleifen.



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