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Zürich

Kleine Anleitung für Zürich

Wie lange lebst du schon in Zürich? Zu lang, um noch nicht fehl am Platz zu sein? Wenn du mit geschlossenen Augen eine Cobra-Tram von dem älteren Modell unterscheiden kannst, dann wahrscheinlich ja. Du redest das Wetter schlecht und die Menschen auch und man sieht dir an, woher du kommst. Du hasst deine Stadt und du hasst alle von ausserhalb, die deine Stadt hassen. Die anderen Städte sind nämlich provinziell und die Leute Bünzli, die Zürcher*innen dafür arrogante Bonzen. Du findest es scheisse, dass dir die Eltern beim Babysitten nicht 25 Franken pro Stunde geben, und du findest scheisse, dass dein Friseur dir nicht für 25 Franken die Haare schneidet.

Wenn dir Zürich grau vorkommt, solltest du augenfasten. Zieh in eine hässliche, wirklich graue Stadt, in der es nichts zu sehen gibt. Zieh nach Pforzheim, Hamm oder Bochum und freue dich über eine Miete von 250 Euro und Döner für 2,50. Bleib erst mal eine Weile dort, zwei Monate mindestens.

Dann komm irgendwann zurück. Aber lass dir Zeit. Komm zurück, nimm dir an einem Wochentag nichts vor und geh morgens im Schneckentempo durch die Altstadt. Es darf an diesem Tag nicht regnen, das ist wichtig. Aber wenn es neblig ist, umso besser, neblige Dezembermorgen sind in Zürich schön. Bleib vor dem Grossmünster stehen und überhaupt vor fast allem, leg den Kopf in den Nacken und staune ein bisschen. (Wenn es nicht funktioniert, fahr noch einmal für ein halbes Jahr ins Ruhrgebiet.) Du wirst alles optisch verschlingen und gar nicht genug bekommen können. Egal, wo du hinschaust, siehst du Ausschnitte, die sich Leute überall auf der Welt als Fototapete an ihre Wände klatschen würden. Vielleicht fällt dir noch ein, dass du doch einen Businessplan brauchst, um reich zu werden, weil du auch so einen Erker an deiner Wohnung willst. Und zwischendurch fragst du dich vielleicht, wie du hier gelandet bist und kommst dir vor wie in einem dieser PC-Spiele, bei denen man ständig in neue Ecken rennen kann, um die designte Spielwelt zu erkunden. Mach das ruhig. Renn ein bisschen im Gassenlabyrinth herum, sei erstaunt, dass du den Sandstein und das Brunnenwasser anfassen kannst und lass dich dann von deiner Tramlinie nach Hause fahren.


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