Die Dinge, die nicht sind
Ich sitze am Schreibtisch und schaue aus dem Fenster, auf das Nachbarshaus, die Wiese und die Hügel dahinter, und seufze. Schon viel zu oft habe ich in den letzten Monaten an ebendiesem Platz gesessen, das Studienmaterial vor mir ausgebreitet. Ich schaue hinaus und denke an all die Dinge, die nicht passieren. Weil sie verboten oder zu riskant sind. Zürich ist aus meinem Radius verschwunden mit dem Gewusel am Bahnhof, dem Gedränge in der Mensa, den Enten auf der Limmat, den Gesprächen mit Kollegen zwischen den Vorlesungen. Meine Welt ist zusammengeschrumpft auf einen Tisch, ein Fenster, einen Computer. Alles ist berechenbar in dieser kleinen Welt. Nichts Unterwartetes passiert. Keine Zugsausfälle oder neuen Bekanntschaften. Der Gang zum Briefkasten oder zum Supermarkt zählt schon als Ausflug.
Ich vermisse es, im Tram die Stadt vorbeirattern zu sehen und die Gedanken schweifen zu lassen. Denn plötzlich ist da ein Bild, das einen Gedanken auslöst, der zu einer Idee wird und vielleicht, nach kritischer Prüfung, zu einem Text oder einer Zeichnung. Ideen verstecken sich hinter Haltestellenschildern, liegen im Schotter zwischen Zuggeleisen oder entspringen flüchtig mitangehörten Gesprächsfetzen. Doch diese Kreativität, die unerwartet aus flüchtigen Eindrücken entsteht, ist einer Eintönigkeit des Vertrauten gewichen. Beim Abendessen mit der Familie hat man sich nichts zu erzählen, weil niemand etwas erlebt hat ausser stundenlangen Online-Meetings. Unerwartete Bekanntschaften und Eindrücke sind zusammen mit sozialen Kontakten rar geworden.
Und so sitze ich am Tisch und schaue ideenlos und betrübt hinaus auf das Nachbarshaus, die Wiesen und Hügel, wie sich alles kaum merklich verändert im Wechsel der Tageszeiten und der Jahreszeiten.
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