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Xhemile Asani

Die Ockerstaubwolke

von Xhemile Asani


Ockerbrauner Sand streut sich in meine Gedanken, in der Hitze wirbelt Staub, alte, mit Falten überzogene Gesichter wenden sich uns langsam zu. Ich bleibe im Vorhof des Hauses stehen, auf dem Weg irgendwohin, als sich eine singende Stimme erhebt, zwischen den Häusern durch das ganze Dorf dringt, sich mit dem Wind zu vereinen scheint, die aufgehängten Kleider berührt und sie zum Zittern bringt. Die Worte sind mir fremd, der Klang vertraut, wie angewurzelt stehe ich da und weiss: Daran möchte ich mich für immer erinnern können.


Ich war schon lange nicht mehr dort, bei den von Mauern umhüllten Häusern, beim Gesang, in der Ockerstaubwolke, in der Hitze, bei den alten Menschen. Diese Zeit ist vorbei, ich kann nicht noch einmal ein Kind sein, mit all meinen Geschwistern verschiedene Landesgrenzen durchqueren, den Nacken verrenken, im Garten Verstecken spielen, den Atem anhalten, das Herz pochend. Irgendwann der Abschied.


Unterdessen durchquere ich keine Landesgrenzen mehr. Die Familie hat sich hier verstreut. So steige ich in den Zug, immer abends, wenn es dunkelt, fahre hin und her zwischen zwei Orten im gleichen Land, die mir verschiedener kaum sein könnten. Ankommen und wieder ein Kind sein, essen und mehr essen, dagegen kämpfen als Kind gesehen zu werden und ich muss wieder in den Zug steigen in eine andere Realität und es schmerzt viel mehr als früher. «A spo do pomfrit a?», höre ich einen Mann sein Kind fragen, ich drehe meinen Kopf schnell um, nur um einen flüchtigen Blick zu erhaschen und zurückgeworfen zu werden. Manchmal im Tram lehne ich mich zurück und schliesse die Augen, um den Gesprächen zu lauschen, in dieser Geheimsprache, an der ich teilhaben kann. An der Kasse schaue ich in vertraute Augen und wie von selbst fällt mein Blick auf das Namensschild, aber nur kurz, nur kurz, um nicht aufzufallen, aufgefordert zu werden, meinen Mund zu öffnen und meine Stimme stolpern zu lassen. Ich zögere kurz, sage «Adieu» und verlasse den Laden.






 

Zur Einstimmung auf die Tage südosteuropäischer Literatur im Literaturhaus schreiben die Stadtbeobachter-innen Arzije, Xhemile und Dorijan über ihren «Balkan in Zürich».

J-U-G-O

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