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Kreis 4

Zwei Männer in einem Hauseingang geben mir Feuer und schenken mir das Feuerzeug gleich mit. Sie jubeln mir nach, als ich davonlaufe. Catcall Nummer eins…

 

«Coraggio!», singt Jovanotti durch meine Kopfhörer. Ich brauche seinen Rat zu mehr Mut aber nicht. Es geht mir gut, die Männer rufen jetzt einer anderen nach.

Von der anderen Strassenseite grüsst mich eine Freundin. Zürich ist klein. Wie viele Menschen habe ich auf der Kasernenwiese bereits geküsst? Ich setze mich vor ein Schaufenster, zähle die WG-Küchen, die ich im Vieri kenne: Militärstrasse, Dienerstrasse, Langstrasse…

 

Um die Ecke war ich das erste Mal in einem Club: siebzehnjährig, endlos nervös, falscher Ausweis, Nacht meines Lebens. Ich bin heute ganz anders und hier ist alles gleich. Bloss mehr Pop-up-Restaurants hat es jetzt. Davor tummeln sich die Süchtigen und wirken selig zerstört. Die Gentrifizierung kämpft in diesem Kreis verzweifelt gegen den Quartiergeist an. Ein Sieg steht nicht in Aussicht: Rundherum verschwinden Hipster-Brillenläden und artisanale Pommesbuden schneller als sie auftauchen.

 

Meine Mutter hat in den Neunzigern hier gewohnt. Aus ihren Geschichten schliesse ich, dass es früher schlimmer war. Am Hauptbahnhof ist es schlimmer. Hier ist es gar nicht schlimm. 

 

Catcall Nummer drei. Ich stelle mich taub und starre entschieden geradeaus.

Wie haben die Männer vor 50 Jahren den Frauen nachgepfiffen?

 

Catcall Nummer vier. Anzügliche Geste, lautes Johlen.

Ich habe mich daran gewöhnt.













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