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Unsichtbar

Die Musik ist schon von Weitem zu hören, als ich mich der Tramhaltestelle beim Paradeplatz nähere. Sie ist aggressiv, hart und gar nicht mein Stil. Sie kommt von einer Musikbox, die neben einem Mann auf einer der Wartebänke steht. Er ist ungepflegt, das Gesicht gräulich und eingefallen, die Kleider dreckig. Neben ihm stehen mehrere Tüten und Taschen, die wohl seine ganzen Habseligkeiten enthalten. Er sitzt da, wippt leicht zum Beat der Musik. Worauf wartet er?

Ich warte auf mein Tram. Die Musik stört mich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch einige der anderen wartenden Pendlerinnen und Pendler stört, doch niemand sagt oder tut etwas, es geht nicht einmal ein böser Blick in seine Richtung. Alle ignorieren den Mann, der die ganze Bank mit seinen Tüten belegt und so laut Musik hört, um sich nicht auseinandersetzen zu müssen mit ihm und damit, dass es auch bei uns Armut und Obdachlosigkeit gibt. Es ist, als wäre der Mann unsichtbar und unhörbar, obwohl er laut so viel Platz einnimmt, als wäre es ein Hilferuf oder ein letzter Akt der Rebellion.





ETH

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